Rheinische Post, Donnerstag, 12. Mai 2022

FLÜCHTLINGE VERNETZEN SICH

Der Verein Ankommen leistet viel Arbeit für Geflohene aus der Ukraine. Doch es gibt gravierende Unterschiede zu der Flüchtlingssituation von 2015 und 2016.

Von Kurt Lehmkuhl

Erkelenz Der Krieg in der Ukraine läuft mittlerweile seit zweieinhalb Monaten. Und auch wenn die „erste Welle“ der öffentlichen Solidaritätsbekundungen abgeebbt ist, bleibt die Hilfsbereitschaft der Menschen auch in Erkelenz hoch. „Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs fragen uns aktuell viele Menschen, wie sie vor Ort helfen können“, sagt Andrea Ludwigs-Spalink, die Vorsitzende der Erkelenzer Flüchtlingshilfe Ankommen e.V. „Dann müssen wir erst einmal erklären, dass Flüchtlingsarbeit langfristige Beziehungsarbeit ist und wir jetzt noch nicht in der Lage sind, potenzielle Helfer mit geflüchteten Ukrainern schnell zusammenzubringen.“

Ludwigs-Spalink erklärt: „Weil die Unterbringung heute eine völlig andere ist als in der Flüchtlingslage 2015/16, konnten sich bisher von unserer Seite erst wenige Kontakte zu ukrainischen Geflüchteten ergeben.“ Damals seien die Migranten aus aller Welt zusammen in städtischen Flüchtlingsunterkünften untergebracht worden. Dort habe man sie begrüßen, kennenlernen, informieren und beraten können. „So konnten sich allmählich vertrauensvolle Beziehungen zwischen Flüchtling und Flüchtlingshelfer entwickeln, die größtenteils bis heute anhalten“, sagt die Erkelenzerin. Dagegen erschwere jetzt die private Unterbringung des Großteils der über 300 ukrainischen Geflüchteten ein Kennenlernen. Andererseits seien diese Flüchtlinge so aber von Anfang an mit Anschluss und Betreuung durch ihre Gastgeber gut versorgt. „Hier besteht zunächst also kein Betreuungsbedarf durch Ehrenamtliche.“

Ganz anders könne das bei den bisher etwa 50 in den ehemaligen Umsiedler-Häusern untergebrachten Menschen in Kuckum und Berverath aussehen. „Hier leben mehrere Familien oder Ehepaare zusammen in RWE-Häusern. Mit Hilfe der Koordinierung durch Ankommen e.V. und dank der hohen Spendenbereitschaft der Bürger konnten die Häuser vor dem Einzug vom städtischen Bauhof mit Möbeln und Hausrat ausgestattet werden.

Da diesen Menschen Ansprechpartner fehlten, haben sich Mitglieder von Ankommen e.V. mit Hilfe einer russischsprachigen Ehrenamtlerin dort vorgestellt und werden das auch bei weiteren Zuzügen tun. „Außerdem gibt es einige Kuckumer Bürger, die sich ebenfalls gut kümmern“, sagt Ludwigs-Spalink. Alle Hausbewohner hätten eine Mail-Adresse erhalten, an die sie sich bei Bedarf auf Kyrillisch wenden können.  „So sehen wir mit Unterstützung unserer Dolmetscherin schnell, wie wir helfen können“, erläutert die Vorsitzende. „Auf uns wirken die Ukrainer recht selbstständig. Nach eigener Aussage kommen sie gut zurecht.“  Dies liege auch daran, dass die Ukrainer im Gegensatz zu den Flüchtlingen 2015/16 keine Beratung in Sachen Asylverfahren, Arbeitserlaubnis und allen damit einhergehenden Problemen benötigten.  Über Spenden würden jetzt noch Hausratswünsche erfüllt, so seien Bügelbretter, Bügeleisen, Wäscheständer und Staubsauger gefragt. Auch vom Angebot, gebrauchte Räder zum für alle Flüchtlinge üblichen Preis von 20 € zu erwerben, werde in der Ankommen-Fahrradwerkstatt durch die Ukrainer reger Gebrauch gemacht.

„Da Schritt für Schritt weitere RWE-Häuser bezugsfertig gemacht werden müssen, ist die Ausstattung der Unterkünfte immer noch Priorität unserer Flüchtlingsarbeit“, berichtet die Vorsitzende. Die Ukrainer, so habe sie erfahren, wünschen sich eine stärkere Vernetzung untereinander. Eine Facebook-Gruppe für sie gebe es in Erkelenz bereits. Verschiedene Institutionen, mit denen Ankommen zusammenarbeite, entwickelten gerade Betreuungsangebote wie Spielvormittage für ukrainische Eltern und Kinder, Deutschkurse und Nachmittagstreffs für die Frauen.  „Für die Menschen ist besonders wichtig, ihre Muttersprache sprechen zu können“, weiß die Flüchtlingshelferin. Die Verständigung mit vielen Gastgebern laufe oft nur über den Übersetzer auf dem Handy. Bedenken müsse man bei den Treffs aber immer noch die aktuelle Corona-Lage und die mangelhafte Impfsituation. Eine Impfaktion sei bereits bei der Stadt in Planung.

Für den Vorstand sei trotz der herausfordernden Koordinierung der täglichen Spendenangebote für die ukrainischen Flüchtlinge wichtig, die Betreuung der Flüchtlinge aus aller Welt nicht zu vernachlässigen. Ludwigs-Spalink: „Prüfungsvorbereitung für Azubis, Deutsch-Einzel-Coaching, Begleitung beim Umzug, Hilfe bei Behördenangelegenheiten, ,Spaß und Kultur´  für Kinder mit Migrationsgeschichte –  all das läuft dank der engagierten Mitglieder unverändert weiter.“

 

Foto: Tony (r.) aus Nigeria lässt sein Rad bei Jürgen Trautwein  (M.) in der Kückhovener Werkstatt reparieren. Said aus Afghanistan hilft bei allen Arbeiten. RP-Foto: Ruth Klapproth

 

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